Nach dem 15. Mai 1945 kam es auf dem jugoslawischen Kriegsschauplatz zu Massentötungen an tatsächlichen und vermeintlichen Kriegsverbrechern und „Volksfeinden“. In den wenigsten Fällen wurde jedoch die individuelle Schuld oder Unschuld der Getöteten vor einem Gericht festgestellt. Die Ereignisse im Mai und Juni 1945 gehören heutzutage zu den europaweit geschichtswissenschaftlich kontroversesten historischen Themen. Sie spalten sowohl die wissenschaftliche als auch die historiografische Landschaft. Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit ist eine Vergleichsanalyse der kroatischen und slowenischen Geschichtsschreibung zu den widersprüchlichen Aspekten und Ereignissen und beleuchtet die divergierenden Interpretationen und Darstellungen in der geschichtswissenschaftlichen Diskussion. Sie zeigt auf, dass insbesondere die Täterfrage, die völkerrechtlichen Bewertungen, die Gewaltursachen, die Opferzahlen sowie die Legitimität und Moralität der Kriegsparteien diskutiert werden. Ein wissenschaftlicher Konsens wird allerdings dadurch erschwert, dass überwiegend keine Archivdokumente (mehr) vorliegen, Dokumentensammlungen bislang nicht analysiert und Massengräber nicht untersucht wurden. Da der Kampf um die Deutungshoheit vor allem auch außerhalb des geschichtswissenschaftlichen Rahmens ausgetragen wird, bezieht die Arbeit dabei auch die geschichtspolitische Diskussion mit ein. In diesem Rahmen geht sie der Frage nach, wer sich bei diesem Thema mit welchen Mitteln auf die Vergangenheit beruft und sie politisch deutet. Sie zeigt auf, dass zwar keine signifikanten Unterschiede zwischen den nationalen Historiografien bestehen, dass allerdings bestimmte Denkschulen grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Da Geschichte nicht von ihrem Ende her erzählt werden kann, bietet die Arbeit eine ausführliche Ursachenanalyse, die den Prozesscharakter der multikausalen Gewalt nach Kriegsende hervorhebt. Sie benennt die in Bezug auf die Massentötungen enormen Forschungslücken und leistet auf der Grundlage einer Analyse von Dokumentensammlungen, die zwar veröffentlicht, aber bisher noch nicht untersucht wurden, einen Beitrag zu einer ausgewogeneren und tiefgründigeren Darstellung der komplexen Kriegs- und Nachkriegsereignisse in dieser Region. Abschließend zeigt sie wissenschaftstheoretische und geschichtswissenschaftliche Vorgehensweisen auf, die geeignet sind, um das Thema noch intensiver wissenschaftlich aufzubereiten.
«