Einer anderen Person zu vertrauen, heißt immer, ein Risiko einzugehen. Derjenige, der das Vertrauen schenkt, begibt sich in einer nicht vollständig definierbaren, d.h., in einer potentiell unkontrollierbaren und damit ungewissen Situation, in die Abhängigkeit eines Treuhänders. In ökonomischen Vertrags- und Arbeitsverhältnissen ist dieses Risiko allgegenwärtig. Wie kann der Käufer eines Gebrauchtwagens wissen, ob der Händler ihm nicht etwas Wichtiges verschwiegen hat? Aus welchen Gründe sollte ein Patient seinem Arzt, ein Klient seinem Anwalt trauen können? Das Risiko ist strukturell immer dasselbe. Derjenige, dem vertraut wird, hat zwei Optionen: Entweder wird er dem ihm entgegengebrachten Vertrauen gerecht oder er missbraucht es. Das Auto könnte zu teuer, die aufwändige Behandlung überflüssig und die Beratung inkompetent sein. Damit drängt sich der Lenin zugeschriebene Satz auf: \"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.\" Vertrauen wird in diesem Sinne als eine durchaus wünschenswerte Eigenschaft verstanden, wenn es aber ernsthaft \"darauf ankommt\", gilt es, auf bewährte Kontrollmechanismen zurückzugreifen. Garantien, Vorschriften und Verträge sind dann die Mittel der Wahl, um das Risiko weitgehend zu minimieren und Kontrollierbarkeit anstelle von Unsicherheit zu setzen. Das Vertrauen selbst wird damit jedoch überflüssig. Was aber passiert, wenn derartige Kontrollformen gar nicht mehr möglich oder einfach sinnlos sind, wenn keine exakten Verträge, keine detaillierten Aufgabenbeschreibungen, keine Kontrolloptionen im Voraus definierbar sind? Was steht dann auf der anderen Seite von Kontrolle? Meine These hierzu lautet: Der Zustand der Nicht-Kontrollierbarkeit ist zunächst nichts weiter, als die Möglichkeit eines freien Spiels unkontrollierter und unkontrollierbarer Kräfte. Auf der anderen Seite von Kontrolle steht keineswegs automatisch Vertrauen. Um jedoch andererseits überhaupt von personalem Vertrauen sprechen zu können, ist gerade dieser Kontrollverzicht seitens des Treugebers eine notwendige Bedingung. Vertrauen ist und bleibt eine riskante Angelegenheit, mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit, sich mit diesem Thema auseinander zusetzen, noch nie so drängend war wie heute. Vor allem in der aktuellen Managementliteratur, wird mehr denn je von Vertrauen und Kooperation gesprochen. So wird der Wunsch geäußert, von einer Kontroll- zu einer Vertrauenskultur wechseln zu wollen, Vertrauensgleitzeit wird als innovative Errungenschaft gepriesen und kooperative Teamfähigkeit wird zur unhintergehbaren Schlüsselqualifikation. In diesem Zusammenhang haben dann Terminologien, die irgendetwas mit dem Begriff \"sozial\" zu tun haben Hochkonjunktur: Soziale Kompetenz, soziales Engagement, soziale Intelligenz werden zu Kampfparolen in einer Zeit, in der die Rede von \"Gemeinschaftlichkeit\" noch nie so wenig Praxis abbildete wie heute. Vertrauen, und dies ist der Tenor der Arbeit, ist eine soziale Ressource, die nur unter der Bedingung von \"Gesellschaftlichkeit\" wirksam werden kann. Immer dann jedoch, wenn die sozialen Elemente einer Handlungssituation blinden Rationalisierungsmaßnahmen zum Opfer fallen, reduzieren sich zugleich die Bedingungen der Möglichkeit für die Entwicklung von Vertrauen. Besteht eine individualisierte Gesellschaft schließlich nur noch aus vereinzelten Individuen, stellt sich die Frage, um welche Art von \"Gesellschaft\" es sich handelt, wenn es für die Individuen keinen vernünftigen Grund mehr gibt, sich gegenseitig zu vertrauen oder sich aufeinander zu verlassen. Was also ist das Spezifische an Vertrauen, und was sind die Bedingungen unter denen Vertrauen - als eine Entscheidung unter Ungewissheit - auch heute noch gegeben werden kann?
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